Glauben wir an Gott? Oder redet man sich selbst einfach nur ein, dass man an Gott glaubt, weil man an etwas glauben muss, weil man einfach nicht mehr an sich selbst glaubt? Als Kind hast du die ersten Schritte gemacht und bist mehrmals hingefallen. Aber trotz häufigem Hinfallen bist du aufgestanden und hast einen erneuten Versuch gestartet. Mehrmals!!! Und das hast du getan nur aus der dir angeborenen und von Mutter Natur gegebenen Kraft – ohne von Gott etwas zu wissen oder wissentlich irgendeiner Religion anzugehören. Du glaubtest, ohne es bewusst wahrzunehmen, an dich selbst. Denn keiner von uns ist sitzen geblieben oder hat angefangen an Gott und seine Hilfe zu glauben, um laufen zu lernen. Nein, wir alle gingen entsprechend unserer angeborenen Natur – wie alle Lebewesen in dieser Welt.

Was ist der Glaube und was ist die Religion – und wie definiert man sie? Seit Jahrtausenden wird Gewalt im Namen von Religionen eingesetzt und gerechtfertigt. Nirgendwo sind mehr Menschen ums Leben gekommen, als im Namen eines Gottes. Und es war völlig egal, welcher Religion dieser Gott angehört hat. Religionen waren – und sind – meistens intolerant. Um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, wird Religion in vielen Fällen missbraucht oder instrumentalisiert. Gerade von religiösen Führern, die auch einfach nur Menschen sind, die im Namen Gottes nur eigene Politik betreiben und anderen, gleichen Lebewesen predigen wie und an wen sie glauben müssen! Glaubensführer, die Wasser predigen und heimlich Wein trinken! 

Das ist doch das Paradox unserer Zeit! Wir haben hohe Gebäude, aber eine niedrige Toleranz, breite Autobahnen, aber enge Ansichten. Wir verbrauchen mehr, aber haben weniger. Wir haben unseren Besitz vervielfacht, aber unsere Werte reduziert. Wir sprechen zu viel, lieben zu selten und wir hassen zu oft. Wir haben dem Leben Jahre hinzugefügt, aber nicht den Jahren Leben. Wir können Atome spalten, aber nicht unsere Vorurteile. Es ist jetzt die Zeit des schnellen Essens und der schlechten Verdauung, von großen Männern und kleinkarierten Seelen. Es ist die Zeit der schöneren Häuser und des zerstörten Zuhauses. Es ist die Zeit der Pillen, die alles können: sie erregen uns, sie beruhigen uns, sie töten uns. Man kann in die Kirche gehen und seine Beichte ablegen und nach allem, was man gemacht oder getan hat, braucht man nur 30 Ave-Marias lesen und dann ist einem alles wieder verziehen. Das heißt, man braucht sich nicht mehr mit sich selbst und den eigenen Taten auseinanderzusetzen und sein Inneres genauer zu beleuchten. Manche Leute gehen täglich auf die Gebetsmatte und glauben, dass die Verbeugungen und Gebetswiederholungen mehrmals am Tag einen besseren Menschen aus ihnen machen. Gleichzeitig halten sie ihresgleichen – nur anderen Geschlechts – in religiösen Käfigen, ohne das Recht auf eigene Entscheidungen. Andere gehen einmal wöchentlich wie zum Bummeln in die Kirche, um die Beichte abzulegen und glauben sie wären besser geworden, weil einem ja sowieso vergeben wird. Aber was passiert in unserem tiefsten Inneren tatsächlich?

Vielleicht wäre es sogar besser, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und die heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich. In einem Interview hat der Dalai Lama einmal gesagt, “dass man keine Religionen braucht. Man braucht vielmehr eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen. Wir kommen nicht als Mitglied einer bestimmten Religion auf die Welt. Aber Ethik ist uns angeboren. Diese säkulare Ethik überwindet nationale, religiöse und kulturelle Grenzen und skizziert Werte, die allen Menschen allgemein verbindlich sind. Das sind nicht äußere, materielle Werte, sondern innere Werte wie Achtsamkeit, Mitgefühl, Geistesschulung sowie das Streben nach Glück. Wenn wir selbst glücklich sein wollen, sollten wir Mitgefühl und Verständnis üben, und wenn wir wollen, dass andere glücklich sind, sollten wir ebenfalls Mitgefühl und noch mehr Verständnis üben.“ Ohne Empathie und Mitgefühl hätte die Evolution gar nicht stattgefunden. Und Evolution begann weit vor dem Entstehen irgendeiner Religion oder Glaubensrichtung. Unser spirituelles Wohl hängt nicht von der Religion, sondern der uns angeborenen menschlichen Natur ab. Ethik, nicht Religion, ist in der menschlichen Natur verankert. Und das nächste Paradox liegt eben darin, dass es sehr vieles in der Religionen und Glaube positives und schönes steckt. Wenn man wieder an die Ursprünge und das Zwischenmenschliche denkt, dann entdeckt man auch in der Glaube die Notwendigkeit und den Halt, die wir im Leben so brauchen.

Warum nun also Yoga? Nun, gerade deswegen. Yoga gehört keiner Religion an. Das Praktizieren von Yoga führt zu Selbsterkenntnis. Es setzt uns einen Spiegel vor, in dem wir unser tatsächliches, inneres ICH ohne Umschweife, Beschönigungen und Ausreden anschauen können. Es beginnt mit der körperlichen Praxis und Meditation und vielleicht mit dem Studium der Schriften. Das Wesentliche jedoch, welches man mit der Zeit zu erkennen beginnt, ist was man ist – und was man nicht ist. Man lernt zu verzeihen und zu verstehen, zu akzeptieren und zu verändern. Nicht nur den Anderen, sondern vor allem auch sich selbst. In den Vedischen Schriften gibt es einen Satz der besagt, dass jedes Lebewesen in der ganzen Welt ein Teil vom Ganzen ist. Und wenn irgendwo ein Lebewesen stirbt, stirbt automatisch ein Teil von dir. Weil du das Ganze bist.

In Maitri upanisad gibt es einen Vers, der besagt:

Yac cittas tanmayo bhavati guhyam Etat sanatanam – So wie man denkt, so wird man. Das ist das ewige Geheimnis!

Und Patanjali bestätigt in seinen Yoga Sutra 1:33

maitrī karuṇā mudito-pekṣāṇāṁ-sukha-duḥkha puṇya-apuṇya-viṣayāṇāṁ bhāvanātaḥ citta-prasādanam

Der Geist wird durch die Entwicklung von Freundlichkeit, Wohlwollen, Frohsinn und Gleichmut gegenüber Freude & Leid, Erfolg und Misserfolg klar. Und welche sind die Eigenschaften eines Gottes, wenn nicht genau diese Qualitäten? Und wenn man sich alle diese Qualitäten anschaut, dann wird einem klar, dass gerade das alles die Grundlagen der säkularen Ethik sind. Keine großen Lehren dieser Welt haben versucht zu bekehren. Und keine dieser Lehren ob Daoismis, noch Zen, Buddhismus oder Yoga haben versucht zu bekehren, was dem Inneren widersprochen hat oder was mit Selbsterkenntnis und der Lehre nicht vereinbar wäre. Man predigt nichts, wovon man selbst keine Ahnung hat. Die innere Entwicklung und die Predigt an sich selbst, mit den vielen wunderbaren Qualitäten des Herzens, erfüllt mehr, als irgendeine einem eingetrichterte Religion, an die man vermutet zu glauben und die mit dem Inneren nicht vereinbar ist! Ich entscheide mich für die weitere, eigene Entwicklung mit den mir angeborenen ethischen Werten und Yoga. Beides trägt mit der Zeit tatsächlich dazu bei, auch den Glauben, wenn man gläubig ist, zu vertiefen und zu intensivieren.

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